Stadthistorie Hannover
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Der nachfolgende Text beschreibt ausführlich, wie ein Augenzeuge den schlimmsten Bombenangriff auf Hannover im Oktober 1943 erlebt hat.

Walther Lampe: Die Zerstörung des historischen Hannovers

Erst im Jahre 1943 konzentrierten sich die Luftangriffe bewußt auf Hannover. Der große Tagesangriff vom 26. Juli 1943 nahm uns den Marktkirchenturm, das Leineschloß, das schöne Hoftheater und das alte Cafe Kröpcke. Wem stand da nicht bereits das Herz still! Am 22. und 27. September 1943 folgten die schweren Angriffe, von denen die Südstadt, Grasdorf, Laatzen, Wülfel, Döhren, die Liststadt und die nordöstlichen Vororte, vor allem Langenhagen, Buchholz und Bothfeld getroffen wurden.
So sehr uns auch das Schicksal derer am Herzen lag, die von diesen Angriffen auf das schwerste betroffen wurden und Gut und Leben dabei verloren, nichts griff uns so ans Herz und erschütterte uns so bis aufs Mark wie der vierte große Luftangriff auf Hannover im Oktober 1943. Der Abend des 8. Oktober 1943 war einer der letzten schönen, fast sommerlichen Abende. Ich befand mich auf dem Herdabend des Heimatbundes Niedersachsen in der alten traulichen Weinstube von Ahles Sohn in der Mittelstraße. Wir brachen wegen des möglichen Alarms früher auf, und ich fuhr noch einmal mit dem Fahrrad ganz gemessen die Calenberger Straße hinunter mit ihren herrlichen Fachwerkhäusern, vor allem dem Vezinsdien- und Wallmoden-Haus, bog in die Rote Reihe ein mit dem köstlichen harmonischen Gebäude des ehemaligen Britischen Hotels und der schönen Neustädter Kirche, kam an den Häusern Am Berge mit dem zierlichen, mit Weinlaub umrankten Hause von Karl Philip Moritz, dem Freunde Goethes, vorüber. In allen höchst anmutig aufeinander abgestimmten Fachwerkhäusern mit ihren bündig eingesetzten Fenstern spiegelte sich der Mond und warf ein eigentümlich bleiches Licht zurück. Wie kannte ich jede alte schöne Barocktür, jedes Oberlicht, jede wohlgeformte Türklinke an diesen Häusern! Links war der respektvolle Bezirk der barocken Clemenskirche. So kam ich zum Clevertor, erfreute mich noch einmal des stattlichen Simonschen Palais, der Rosenbergschen Villa mit ihrem schönen Park und des alten Fachwerkhauses der Fröbelschule. So zog ein guter Teil des alten Hannover, mit dem Tausende von Erinnerungen verbunden waren, für immer unvergessen noch einmal an meinem Auge vorüber.
Zunächst kam blinder Alarm, nach Mitternacht nochmals. Die Flieger schienen Hannover zu überfliegen, wurden in Gardelegen und Stendal gemeldet, drehten plötzlich, und was dann geschah, erfüllte jeden mit Entsetzen. Was im weiten Bezirk der Stadt, vor allem in der Altstadt, in jenen Schreckensstunden vor sich ging, konnte man nur ahnen. Denn jeder hatte mit sich, den Seinen und seiner Habe zu tun und war dabei oftmals völlig auf sich allein gestellt. Aber aus der Tatsache, daß man sich vor einem undurchdringlichen Rauchring befand, der kaum die Feuerröte des Himmels erkennen ließ, hinter dem aber ein Feuermeer wütete, und aus der Tatsache, daß in meiner Wohngegend die Reste vom alten Traindepot am Schneideberg brannten und die Zeug- und Wollballen wie glühende Körper durch den Sog in der Luft herumwirbelten, konnte man schließen, daß sich im Zentrum des alten Hannovers die Hölle aufgetan hatte.
Beim ersten Morgengrauen - die Stadt selbst war in einen schwer lastenden Rauchmantel gehüllt, durch den auch die schönste und klarste Herbstsonne sich keinen Weg bahnen konnte - machte Ich mich wiederum zu Rad auf in die Stadt. Bis zum Königsworther Platz kam ich noch einigermaßen durch. Von da aber eröffnete sich ein Bild des Grauens und der völligen Zerstörung. Nicht nur, daß die ehemalige Königsulanen-Kaserne eingestürzt war, die stattlichen Häuser ringsum aus dem Beginn unseres Jahrhunderts loderten, der Palm, das Restaurant an der Ecke mit seiner Terrasse brannte, nein, es war auf der Straße ein Gewirr von Schienen, herabgefallenen Drähten, und Dachziegeln, umgestürzten Laternen, aufgerissenem Pflaster, heruntergebrochenem Gesims aller Art, daß ich mein Rad nur mühsam vorwärtsschieben konnte. Entgegen kam mir ein Strom von Menschen, die das Freie suchten, mit Sack und Pack, mit Kinderwagen, Karren und anderem Gefährt, mancher nur mit Mantel und Schal bekleidet, mit bleichen, verstörten, leidvollen Gesichtern, das Haar zerzaust, rauch- und brandgeschwärzt, hier und da bereits verbunden. Männer, Frauen, Greise und Kinder, alles schleppte sich ab mit der letzten geretteten Habe, manche zerlumpt, andere in vollem Staat, Frauen, die nur den kostbarsten Mantel, den Pelz gerettet hatten. Die Menschen mit Koffern, Kisten und Kasten sahen aus wie fahrendes Volk.
Durch dieses Knäuel von Menschen und Gegenständen schob ich mich nur langsam hindurch. Allenthalben brannte es. Manche Häuser waren schon im Innern völlig ausgebrannt, der Rest verkohlte. Bei anderen setzte sich der rote Hahn gerade oben auf das Dach. Ich suchte Bekannte in der Gerberstraße auf. Hier waren die Wasserschläuche der Feuerwehr bis ins oberste Stockwerk gelegt. Ich wollte zupacken, man rief mir aber zu, es sei völlig nutzlos. So zog ich weiter über die Glocksee- und Humboldtstraße, die völlig verwüstet aussah, in die Dachenhausenstraße. Vom Friederikenstift stand äußerlich noch das meiste. Aber das schöne, von Laves erbaute Haus Nr. 2 in der gleichen Straße war nur noch zum Teil vorhanden. Ich eilte die Freitreppe hinauf in die offenen Räume des Erdgeschosses - ein Haushalt, der mir vertraut war - rettete noch einige Zinngefäße, persönliche Bilder und Kleinigkeiten aus der Wohnstube. Ich glaubte, noch einmal umkehren zu können, um erneut die Hände zu füllen, da brach kurz nach meinem Verlassen des Hauses der hohe Balken über der Tür brennend hinter mir ein und hätte mich beinahe erschlagen. Ich verstaute das Gerettete, eilte zum Neustädter Markt. Da war das Gebäude des Landeskirchenamtes hell in Flammen und bereits bis zum Hochparterre abgebrannt. Der Hausmeister mit Familie saß neben geretteter Habe auf dem Markt am Duvebrunnen. Die Söhne hatten vom Brande völlig verquollene gerötete Augen. Die Feuerwehr löschte mit vollem Strahl. Ich hoffte, daß sich Keller und Hochparterre noch retten ließen, wohin wenige Tage zuvor wertvolles Archivgut zusammengetragen war, das ausgelagert werden sollte. Ich feuerte die Wachen an, die auch ihr Möglichstes taten, aber auch hier war letzten Endes alles zwecklos. Welche Erinnerungen hingen an diesem Hause!
So ging es ringsum mit allen Fachwerkbauten der schönen alten Schloß-und Hirsch-Apotheke mit ihren historisch einmaligen Einrichtungen, dem Geburtshaus von Leisewitz - sie waren nicht mehr!
Inzwischen war es Tag geworden. In das Innere der Altstadt konnte man nicht. Die engen Straßen waren durch Trümmer und durch Brandwachen versperrt. Überall der gleiche beizende, schwelende Geruch. Ich selbst vom Zupacken geschwärzt, durch das Mitfühlen und den Schmerz und den Gedanken an die Not der Mitmenschen und an den Verlust all dessen, was man an Kunst-und Kulturwerten geliebt hatte, zu Tode müde und zerschlagen! Das Herz fing an zu versteinern.
Ich hielt mich am Rande der Altstadt, aber auch da war nichts mehr vorhanden. Man ahnte nur dumpf die ungeheuren Ausmaße der Verluste. Alles war noch nicht faßbar. Ich sah nur in der Friedrichstraße, daß die alten Fachwerkhäuser gegenüber dem Rathaus nicht mehr standen, die Aegidienkirche bereits ausgebrannt war; die ganze Gegend bis zum Aegidientorplatz war wie weggefegt, der Loccumer Hof ebenfalls. Ich eilte zum Wilhelm-Busch-Haus, am Georgsplatz. Auch da hatte die Nacht schon ihre Tat vollbracht, es stand brennend in den letzten Mauerresten; ebenso völlig ausgehöhlt mein liebes Schulgebäude, das Schillerdenkmal davor noch heil. Ich sah in den Schiffgraben und entdeckte das Haus, in dem der Heimatbund Niedersachsen seine Ge- schäftsstelle hatte. Auch sie war mit ihrem reichhaltigen wertvollen Material restlos vernichtet. Die Häuser in der Georgsstraße waren dahin, vor allem die schönen alten Häuser, wie die von Weitz und Lahmeyer. Einsam stand die Kröpcke-Uhr. So ging es fort bis zum Steintor. Die Passage war zur Hälfte zerborsten. An dieser Ecke loderte das Feuer. Hier wie allenthalben brannte und flackerte es. Man schmeckte förmlich diesen Rauch, der über das Leichenhafte hinzog. Ja, noch nach 8 Tagen schwelte es fort. Sie ging es mit der ganzen Langen Laube. Immer konnte man sich nur sagen: "Auch das, also auch das!"
Das Haus der Väter war nicht mehr, der Neustädter Friedhof durchwühlt. So erreichte ich wieder, mit etwas freierem Atem, die Herrenhäuser Flur. Aber in mir und außer mir war eine Trostlosigkeit und Traurigkeit über die Not der Bevölkerung und die Zerstörung all dessen, was seit Jahrhunderten gestanden und uns erfreut hatte, die nicht zu beschreiben war. Es war des Schmerzes zuviel. Wie dem Sarg eines geliebten Menschen, den man in die Erde gesenkt hatte, sah ich auf dem Nachhauseweg nach der Stadt zurück. Die Sonne brach während des ganzen Tages nicht durch Rauch und Qualm hindurch.
Als ich nach vielen Hilfeleistungen und mit zerschundenen Händen zu Hause ankam, waren schon Bekannte eingetroffen, die auf dem Wege über Hannover waren, aber vor den Toren Hannovers den Zug hatten verlassen müssen, da der unmittelbare Verkehr gesperrt war. Weiter kamen Bekannte, die Zuflucht bei mir fanden, solange ich noch im Besitz einer heilen Wohnung blieb.
Sehr schwer lastete die Frage auf der Seele, wo die vielen Bewohner aus den vollständig ausgebombten Häusern geblieben waren. Hatten sie, mit feuchten Tüchern um Kopf und vor allen Dingen vor Mund und Nase, ja mit völlig angefeuchteten Kleidern, um sicher durch die Glut kommen zu können, rechtzeitig das Freie erreicht? Waren sie in die Maschwiesen, in die Ohe- und Leineniederung und in den Georgengarten entkommen und gerettet? Mancher hat es nicht schaffen können, mancher war vor Entsetzen erstarrt, war elendiglich im Rauch erstickt oder in den Flammen umgekommen. Ich weiß, wie Menschen sich im Keller sicher fühlten, dann aber doch beim Ausbrennen des Hauses von den Flammen erfaßt wurden, sich an die nicht recht durchgefeilten Stäbe der Kellerfenster klammerten und dort grausam wie lebende Fackeln verbrannten und bis zur völligen Unkenntlichkeit verkohlten. Die Reste wurden später auf den Rasen der Friedhöfe gebettet, und dort konnten die Angehörigen nur mühsam an einer Kette oder an sonstigen Merkmalen die Ihrigen erkennen.
Wie viele Familien waren wohl auf Wochen und Monate auseinandergerissen! Manche waren gleich vor den Toren der Stadt aufgefangen und auf Wagen aller Art gepackt und ohne Zusammenhang in die nächsten Dörfer und heilen Städte gebracht. Niemand wußte, wohin ihn das Schicksal verschlug. Er entging wohl dem Tode, ging aber einem völlig Ungewissen Leben entgegen, oftmals buchstäblich mit einem Nichts behaftet. Größeres Gepäck hatte er nicht mehr mitschleppen können, oder es war ihm unterwegs abhanden gekommen. Manche waren kaum bekleidet und mußten von Kopf bis Fuß wieder neu ausgestattet werden. Erst lange Zeit danach fanden sich Zerstreute wieder und glaubten, einigermaßen wieder in Verhältnisse zu kommen, um notdürftig fortleben zu können.
Ich werde nie vergessen.

Erschienen im Heft 9/12 des Jahrgangs 1943 der Niedersächsischen Zeitschrift »Heimatland«

Schilderung eines Jungen zur Bombennacht

Am Himmel fliegen leuchtende Geschosse auf, und mit einem Male ist das Dunkel erfüllt von brüllenden Geschützen. Meiner Sinne nicht mehr mächtig, greife ich nach meinem Mantel, der neben mir liegt. Die Mutter reißt die Türe auf, und ich stürze und stolpere hinaus, die Treppe hinunter. An den Wänden flammen Irrlichter auf, der Schein der explodierenden Granaten. Mein Körper ist ganz das Werkzeug meiner unfaßbaren Angst.
Ich habe den Keller erreicht, ich falle nieder auf mein Ruhebett. Ich höre der Mutter Stimme. Ich besinne mich. Bei ihr fühle ich mich sicher. Ich sehe, daß ich nur im Schlafanzug bin, und bekleide mich. Hier unten hören sich die Geräusche furchtbar an. Es ist, als brülle eine gewaltige Stimme durch einen Trichter. Es hallt alles wider in den Gewölben der Keller: Das Sausen und Heulen der Bomben, das Brummen der Flugzeuge, beides übertönt von wütendem Geschützdonner.
Der Vater schließt die schwere Eichentür. Innere Unruhe steigt wieder in mir auf. Bei der Mutter will ich mich trösten. Sie sitzt da, vorgebeugt, jeden Augenblick bereit, auf mich zuzustürzen und mich mit ihrem Körper zu beschützen. Meine Augen treffen auf ein schmerzverzerrtes Gesicht. Hilfesuchend blicke ich in des Vaters Antlitz: Die Lippen zusammengepreßt, die Augen starr auf die Tür - das Licht verlöscht mit einem furchtbaren Schlag. Es ist die Hölle.
Fest halten wir uns umschlungen, keiner spricht. Die schwere Tür scheint offen zu sein: schrilles Klirren, dumpfe Schläge. Der Vater tastet sich nach dem schweren Hammer und beginnt, die Mauer durchzuschlagen. Man hilft uns von drüben, und die Lebensnot macht den Vater stark: Es ist ein Loch in der Mauer.
Auch hier liegt das furchtbare Dunkel, durchdrungen von Wimmern, verhaltenem Schluchzen. Jemand betet. Fest hält mich die Mutter zu sich. Es will nicht enden. Minuten scheinen mir Stunden. Ein Mann kommt in den Keller. "Alles ist vorüber, die Flieger sind weg."
Aber was donnert und braust? - "Es sind explodierende Bomben und das Knattern der Flammen." Wir gehen hinaus in den Garten. Viele Menschen stehen, liegen hier, mit wenigen geretteten Habseligkeiten. Taghell beleuchten Flammen das Elend. Dort eine junge Mutter über ihr Kind gebeugt, ein Greis liegt da, nur mit Hose und Hemd bekleidet.
Wir sehen über die Mauer: Zwischen den Bäumen unseres Gartens erhebt sich das Haus, es scheint unversehrt. In wilder Freude eilen wir durch den Keller zurüdt. Die Eichentür ist aus dem Schloß gesplittert. Oben an der Straße liegt auf den Stufen der offenen Haupttür eine Gestalt lang ausgestreckt. Eine alte Frau. Sie will nicht herein. Welches Schicksal mag sie dort hingetrieben haben? Endlich haben wir sie doch so weit, daß sie uns folgt.
Mächtiger Sturm hat sich draußen entwickelt und treibt Funken durch die Luft. Die schwere Haupttür droht immer wieder aufzufliegen, denn das Schloß ist ebenfalls zerbrochen. Ich stelle mich dagegen. Durch das Gitter sehe ich draußen halbbekleidete Menschen vorbeilaufen, von Flammen beleuchtet, ihre wenige Habe tragend.
Die Eltern gehen hinauf in die oberen Stockwerke. Ich schäme mich der Freude, daß unser Haus nicht zerstört ist. Habe ich mehr Recht als die da draußen? Weinend kommt die Mutter, auf dem Arm ein Bündel mit Bettwäsche. "Was ist?" "Das Feuer greift über!" Es ist ein verzweifelter Schrei.
An der Türe kann ich nicht mehr stehen bleiben. Ich haste die Treppe hinauf. Das Nebenhaus brennt, wir hatten es nicht bemerkt. Es greift über auf unser Dach, und wir können doch nicht gegen das starke Element, das unser Haus ergreift, ankämpfen, wir wenigen. Wasser! - Zuwenig!
Es geht nicht! Die oberen Zimmer füllen sich bereits mit Rauch. Noch einmal will ich die Orte sehen, wo ich froh und glücklich war. Irrend haste ich durch das Haus: Türen und Fenster sind herausgerissen. Schränke geöffnet, Bücher, Wäsche herausgestürzt. Dekorationen wehen zerfetzt nach draußen. Bilder liegen am Boden. Der große Spiegel über dem Kamin ist zertrümmert. Engelköpfe und Stuckblumen liegen auf der Erde. Verwüstung, Zerstörung. - Wir können nichts retten, alles muß verbrennen, wir können keine Möbel tragen, sie müssen verbrennen, denn das Treppenhaus sperren Trümmer. Dieser oder jener leichte Gegenstand, das Notwendigste, wird herabgeschleppt, aber auch das hört auf.
Da, die Mutter eilt noch einmal in den Rauch, wir können sie nicht halten. Ich starre dorthin, wo sie verschwand. Mutter, komme wieder! Komm zurück! Minuten vergehen, mir ist es eine Ewigkeit. Mutter! - Sie kommt zurück, wankend. Sie hat eine Kassette in der Hand. Ich weiß nicht, was das ist. Der Vater stützt sie, und wir müssen endlich weichen. Zum letzten Mal überschreiten wir diese Schwelle. Wie schwer muß das den Eltern sein!
Was ich fühle? - Ein erneuter Schock trifft mich: Ein herzzerreißender Schrei kommt an mein Ohr. Er kommt aus den Flammen. Ich kann kein Wort verstehen, aber es liegt in dieser Stimme: ein Verbrennender.
Wir langen an der anderen Straßenseite an. Wir lassen uns auf einen Stein nieder zwischen Weinenden, Verzweifelnden. "Gott, rette uns aus dieser Not!" -»Es gibt keinen Gott. Ließe er das zu?"
Und einer teilt mit dem anderen das letzte Stück Brot.

"Kommt", sagt der Vater. Ein letzter Blick nach dem verbrennenden Hause, ein letzter Blick. - Wir schleppen uns zwischen den Menschen und ihrer letzten Habe hindurch. Feuerfunken fliegen um unsere Köpfe. Wir ziehen durch flammende Straßen, der Schrei der Verbrennenden gellt in meinen Ohren, und nie wird er verhallen. Nie!


Erschienen im Heft 9/12 des Jahrgangs 1943 der Niedersächsischen Zeitschrift »Heimatland«