Stadthistorie Hannover
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Dieser Text soll die aus heutiger Sicht oft unverständlichen Entscheidungen des Städteplaners verdeutlichen. Aufgrund seiner Entscheidungen wurden viele historische Gebäude abgerissen, obwohl sie teilweise nur geringe Beschädigungen hatten. Als Musterbeispiel dafür gilt z.B. die ehemalige Flusswasserkunst.

Dieser Text steht im Zeichen des Zeitgeists der siebziger Jahre und vor dem Hintergrund, dass die Stadt von morgen vom Verkehr dominiert sein wird. Der Text enstand in der Zeit während oder vor des Baus von Großprojekten wie Ihmezentrum und Kröpckecenter. Diese Projekte sind aus heutiger Sicht nahezu alle gescheitert. Allein aus diesem Grund ein außerordentlich interessanter Bericht.

Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht:
Über den Wandel des Stadtbildes

Das Bild der Städte, im wesentlichen von der Topographie, dem Straßen- und Platzgefüge und den Bauten bestimmt, macht seit jeher den Wandel ablesbar, den die allgemeine Entwicklung stetig erzeugt und Veränderungen besonderer Art sprunghaft hervorrufen können. Solche Wandlungsprozesse, wie sie durch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert ausgelöst wurden, hinterlassen erfahrungsgemäß tiefgreifende Spuren im Stadtbild. Der Krieg zerstörte das Gesicht vieler Städte, und Wunden und Narben werden noch lange oder für immer sichtbar bleiben. Die »zweite industrielle Revolution« erweist sich in ihren Auswirkungen auf das Stadtbild als nicht minder folgenreich, und manche Stadt ist in Gefahr, ihr Gesicht zu verlieren.

Hannover, durch Kriegszerstörungen schwer gezeichnet und der Gefahr des Gesichtsverlustes kaum weniger ausgesetzt als andere Städte, war von Beginn des Wiederaufbaues an bemüht, im Wandel des Stadtbildes Kontinuität zu wahren, und ist gegenwärtig im Begriff, der Stadt im Ganzen und der Stadtmitte als ihrem strukturellen und räumlichen Schwerpunkt neue prägende Züge zu geben, die ihrer Eigenart gemäß sind, ihre kontinuierliche Entwicklung fortsetzen und ihre Bedeutung zugleich sinnfällig und ablesbar machen.

Die weitgehenden Zerstörungen am mittelalterlichen Hannover verpflichteten nicht nur, die städtebauliche Struktur des Stadtgefüges im Ganzen und seine Baudenkmäler im einzelnen - und sei es im ruinenhaften Zustand wie die Aegidienkirche als Gedenkstätte - zu bewahren, sie gestatteten es auch, diese Werte deutlicher hervorzuheben als das bisher möglich war. Unter gleichzeitiger Vorsorge für eine neuzeitliche Verkehrserschließung der gesamten Stadt und insbesondere ihres Zentrums durch eine Ringstraße wurde der Leinelauf dort, wo er die Altstadt begleitet und einmal Anlaß zur Stadtgründung gab, freigelegt, so daß heute die Geschlossenheit der alten, umwehrt gewesenen Stadt in den wenigen Resten der mittelalterlichen Befestigung und mit dem zum Landesparlament gewandelten LeineschIoß deutlicher in Erscheinung tritt als zuvor. Neubauten im Raum des Leibnizufers fügen im Gegenüber zur Altstadt dem Stadtbild Akzente ein, durch deren Gegensätzlichkeit die Wirkung des Ganzen gesteigert und gleichzeitig eine überzeugende Kontinuität zwischen Altem und Neuem hergestellt wird. Daß der »Flohmarkt« gerade diesen Raum mitsamt seinen Nanas« in Gebrauch genommen hat, ist eine schöne Bestätigung für die Nutzungs- und Tragfähigkeit dieser Konzeption.

Von rund 1600 Fachwerkhäusern überstanden nur wenig mehr als 30 den Krieg. Die wertvollsten von den vereinzelt übrig gebliebenen Häusern wurden in die Lücken des Quartiers Burgstraße/Kramerstraße, des einzigen unverändert uns überkommenen Straßenzuges, umgesetzt und so entstand dort eine »Traditionsinsel«, die heute als Fußgängerstraße zwischen Marktkirche und dem Neubau des Historischen Museums die Altstadt bereichert. Dazu gehören die Wohninseln um die Kreuzkirche und die Neustädter Kirche, die beide, schon zu Beginn der fünfziger Jahre angelegt, hohe Wohnwerte inmitten des Zentrums geschaffen haben, durch die Nachbarschaft zum Alten einen besonderen Reiz gewinnen, aber auch durch ihre Eigenart die Altstadt beleben. Die Neugestaltung des »Ballhofes« als neuzeitliche Schauspielbühne vermehrt das reichhaltige Angebot, das die Stadtmitte erst zum Mittelpunkt einer Stadt macht und dessen räumliche und bauliche Gestaltung das Stadtbild eindrucksvoll, unverwechselbar und anziehend macht.

Die Zeit des Klassizismus, die viele Städte bis heute nachhaltig prägte, schuf in Hannover große Ansätze für eine Wandlung des Stadtbildes, die jedoch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht fortgeführt wurden. Nach dem Kriege wurden sie in neuer Weise durch die Führung der Lavesallee, die einen neuen Blick auf das alte Hannover eröffnet und die südwestlichen Stadtbezirke mit dem Zentrum verbindet, wie durch den neugestalteten Waterlooplatz in das Stadtbild einbezogen. Hier wie auch mit der neuen Verkehrsführung vom Nordwesten zum Stadtzentrum über den Bremer Damm entlang dem Leineraum verbinden sich nicht nur Altes und Neues, Landschafts- und Stadtraum in neuer Weise, sondern entstanden auch künstlerische Steigerungen und Akzentuierungen, die das Stadtbild wirksamer als in den Jahrzehnten zuvor in Erscheinung treten lassen. Das wird in Bälde auch für den Bezug zwischen dem Nordosten und dem Stadtzentrum der Fall sein.

Daß die Ansprüche des heutigen Verkehrs und deren Berücksichtigung zu diesen städtebaulichen Lösungen erheblich beigetragen haben, ist unverkennbar. Das Element Verkehr spielte allerdings auch bei den klassizistischen Plänen schon eine große Rolle und war stets ein Bestandteil des Städtebaus. In Hannover waren wir bestrebt, ihn nicht zum vorherrschenden Element der Neugestaltung werden zu lassen, sondern unter Nutzung der topographischen und landschaftlichen Gegebenheiten den Stadtraum durch Freiräume strukturell und städtebaulich zu gliedern und die für die Funktionsfähigkeit der Stadt erforderlichen modernen Verkehrswege diesen Gliederungselementen einzufügen. Dadurch verlieren sie viel von ihrem oft störenden Geltungsanspruch, werden leichter in die Stadtstruktur integriert und gewinnen den unschätzbaren Vorteil an Erlebniswerten, die ihre Führung durch den Landschafts- und Stadtraum mit vielen Aspekten auf das Stadtbild vermittelt. Dies dürfte in Hannover besonders gelungen sein und auch die Symbiose zwischen Altem und Neuem wesentlich erleichtert haben.

Inzwischen erleben wir, daß sich das Neue, kaum ist der »Wiederaufbau« abgeschlossen, weiter wandelt und sich Veränderungen vollziehen, die das Stadtbild erheblich beeinflussen. Der wirtschaftliche und soziale Strukturwandel wirkt sich merklich auf die städtebauliche Struktur der Städte aus und wird durch die Konzentration der Dienstleistungen aller Art in den Stadtzentren besonders deutlich gemacht. Die dadurch bedingte Verkehrsüberlastung führt zu einer zunehmenden Funktionsbeeinträchtigung der Stadt im ganzen und insbesondere droht den Stadtzentren infolge der schwindenden Vielfalt des Angebots an Nutzungen eine Monostruktur, die zu ihrer Verödung führen kann. Hannover hatte zwar schon 1949, entgegen dem allgemeinen Trend dem öffentlichen Nahverkehr den Vorzug gebend, für das Stadtzentrum eine unterirdische Führung der Straßenbahn eingeplant, war jedoch erst 1965 in der Lage, die 'Verwirklichung solcher Pläne durch einen U-Bahnbau zu beginnen, Die Auswirkungen auf die Stadtstruktur und damit auf das Stadtbild, unmittelbar und mittelbar, werden beträchtlich sein und lassen sich bereits jetzt erkennen. Auch hier bestätigt sich der große Anteil, den der Verkehrsbau im Städtebau einnimmt.unterirdische Führung der Straßenbahn eingeplant, war jedoch erst 1965 in der Lage, die 'Verwirklichung solcher Pläne durch einen U-Bahnbau zu beginnen, Die Auswirkungen auf die Stadtstruktur und damit auf das Stadtbild, unmittelbar und mittelbar, werden beträchtlich sein und lassen sich bereits jetzt erkennen. Auch hier bestätigt sich der große Anteil, den der Verkehrsbau im Städtebau einnimmt.

Im Stadtzentrum erlaubt die hohe Leistungsfähigkeit einer U-Bahn eine Konzentration von Nutzflächen einer Größenordnung an den Stationen, insbesondere an Kreuzungsstationen, deren Verkehrsbedienung mit Kraftwagen das innerstädtische Straßennetz überfordern würde. Ursachen anderer Art führen zu einer Mischnutzung solcher Gebäude, in denen verschiedenartige Nutzungen weniger neben- als übereinander gelagert in großen und hohen Baukomplexen angeboten werden, die unmittelbaren Zugang zu den Stationen haben oder auch über den Stationen selbst gebaut werden. Unter diesen neuen Gesichtspunkten wurde 1970 eine Rahmenkonzeption entwickelt, nach der neben dem Kröpcke-Center inzwischen der Raschplatz und das Ihmezentrum verwirklicht wurden. Dieser Wandel in der Stadtstruktur als Folge der wirtschaftlichen Strukturveränderungen und der gesellschaftlichen und technischen Entwicklung vollzieht sich gegenwärtig und beeinflußt das Stadtbild erheblich. Auch hier wird aber eine Kontinuität in der städtebaulichen Entwicklung spürbar; denn jene klassizistische Achse Waterloosäule - Leineschloss - Marktkirche setzt sich numehr über das Kröpcke-Center und die Bauten am Raschplatz bis in den Raum des Lister Platzes fort und wird für das Leben der Stadt, insbesondere der Stadtmitte, durch den Bau einer rund 800 m langen Fußgängerstraße wirksam, die als eine zusammenhängende Passage in etwa 5 m Tiefe, teils offene, teils überbaute Straße, vom Kröpcke unter dem Hauptbahnhof hindurch bis nördlich des Raschplatzes führt; sie unterquert den oft genug als Barriere empfundenen Bahnkörper und verbindet die Nordoststadt für den Fußgänger störungsfrei vom Autoverkehr mit dem Stadtzentrum. Hannover nutzt die neuen Möglichkeiten, die der U-Bahnbau bietet, um solche Dienstleistungsunternehmen, deren Standorte nicht im Stadtzentrum liegen müssen, dafür zu gewinnen, ihre neuen Bauanlagen an den Stationen im äußeren Stadtbereich zu errichten. Hier ist auch eine gute Verkehrsbedienung durch Kraftwagen gewährleistet. Das 1970 erarbeitete Rahmenkonzept sieht einen zweiten äußeren »Ring« solcher Großbauten an U-Bahnstationen vor, dessen Verwirklichung von bedeutenden Wirtschaftsunternehmen bereits in Angriff genommen wurde. In den neuen Stadtteilen, um die es sich dabei in der Regel handelt, werden dort Schwerpunkte der Siedlungsentwicklung entstehen, die der gewünschten Dezentralisation und Gliederung des Stadtraumes in Stadtteile mit eigenem Gepräge dienen.

Hannover begreift sich als Kernstadt eines größeren Raumes, der sich zu einer Regionalstadt entwickeln mag. Dieser Wandel, der sich in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts angebahnt hat, zeichnet sich auch bereits im Stadtbild ab. Er ist in der Gesamtplanung der Nachkriegszeit angelegt und vollzieht sich in allen Stadtteilen, am deutlichsten im Stadtzentrum, dessen Silhouette, Altes und Neues in sich vereinigend und dem Wandel der Zeit unverkennbar Ausdruck gebend, doch auch in Zukunft die eindeutige Aussage macht: Hannover!

Erschienen im Buch "Hannover, Porträt einer Stadt", Fackelträger Verlag (ISBN 3771614252).